Laut Gedacht

Ich mag das Wort „Essstörung“ eigentlich gar nicht. Ess-Störung. Störung. Störung des Essens. Essen ist gestört.

Bin ich denn wirklich gestört? Oder mein Essverhalten? Naja. Normal ist es nicht, das stimmt schon. Aber das ist doch nur die Oberfläche. Der Ort an dem die Störung ausgetragen wird – am Esstisch. Dabei rührt das Ganze doch von viel tiefer.

„Ein gestörtes Essverhalten“ sagen die Experten. Daran lässt sich auch nicht rütteln. Aber warum  „nur“ ein gestörtes Verhältnis zum Essen? Es ist weitaus mehr als das.

Ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper. Selbsthass. Ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Person. Eine Entfremdung von sich selbst. Eine Identitätskrise. Eine gestörte Selbstwahrnehmung. Die Überzeugung nicht der zu sein, der man eigentlich ist. Ein gestörtes Selbstwertgefühl. Die Angst, niemals genug zu sein – oder paradoxerweise niemals wenig genug zu sein.

Dennoch –

Immer noch besser als das Wort „Magersucht“.

Die Sucht danach mager zu sein. Nicht mager genug sein können. Die Magerkeit brauchen – Als Befriedigung der Sucht. Das impliziert dieses Wort für mich.

Dabei steht dieses „mager sein“ doch in fast jedem Fall für etwas ganz Anderes. Es ist nicht die Sucht danach so mager wie nur möglich zu sein. Sondern die Sucht nach der Kontrolle über das eigene Leben. Über das eigene Ich. Über den Körper. Über das Gewicht. Über das Essen. Über alles.

Es ist eine Sucht nach Autonomie, nach Selbstbestimmung. Und es ist eine Sucht nach Askese. Eine Askese, die befriedigt. Die einem das Gefühl gibt, Herr (oder Dame) der Dinge zu sein. Das ist die wahre Sucht. Die Sucht nach der Kontrolle. Mager sein ist nur die Folge.

 Die meiner Meinung nach am weitesten verfehlte Bezeichnung ist die „Ess-Brech-Sucht“.

Die Sucht nach dem Essen zu brechen. Aha. Als sei einem nur mal eben Übel gewesen. Na, dann geht man nach dem Essen eben brechen.

Bulimie oder Ess-Brech-Sucht ist die Sucht danach den Kontrollverlust zu kompensieren. Die Kontrolle zurück zu erlangen. Den Lauf der Dinge nicht zulassen zu können. Die Sucht, die Dinge so zu drehen und zu biegen wie sie sein sollten. Kontrollverluste können und dürfen nicht akzeptiert werden. Man holt sich die Kontrolle einfach wieder. Die Sucht danach, gegen Veränderungen anzukämpfen. Damit alles so bleibt wie es ist. Und wenn man das eben in Form von Erbrechen, Sport oder Medikamenten tun muss. Man kämpft. Man kämpft zwar gegen sich – aber man kämpft.

Was mich an dem Wort besonders stört ist das „Brech“. Denn nicht jede/r Bulimiker/in erbricht, um das Essen wieder loszuwerden. Viele, vielleicht zu viele, greifen zu Abführmitteln, zu Entwässerungspillen, Hungern oder Fasten tagelang oder treiben exzessiven Sport. Das alles blendet die Bezeichnung „Ess-Brech-Sucht“ aber einfach aus und beschränkt sich lediglich auf das Erbrechen.

Das vermittelt ein völlig falsches Bild von der Krankheit und von den Betroffenen. Viele wissen nichteimal selbst, dass sie Bulimiker/in sind. Sie kotzen ja nicht. Alles nicht so schlimm. Nur ein bisschen Sport, ein bisschen Hungern, ein paar Pillen. Ganz normal.

Warum ich das schreibe? Keine Ahnung. Ist schon spät – ich sollte wohl schlafen gehen.

Gedankensalat eben.