ABC, 3D, BCM, FDH, 1-2-3, Doppel W, Doppel D
Ich habe sie alle ausprobiert, studiert…und dann wieder ausgekotzt.
Heute habe ich Müsli gekauft. 378 Kalorien auf einhundert Gramm standen hinten auf der Packung drauf. Ich nahm mir eine Schüssel und schüttete ein bisschen hinein. Nur ein bisschen. Dann habe ich alles hineingeschüttet und noch eine Schüssel genommen. Und dann habe ich mir die Rosinen rausgepickt. Jede einzeln. Und dann habe ich noch eine Schüssel genommen und da habe ich die Haselnüsse reingeschmissen. Und dann habe ich die Haferflocken gezählt, jede sorgfältig ausgewählt, mir dabei Geschichten erzählt…
Geschichten von irgendwann einmal, später, in zwei Jahren oder so..
Wenn ich dünn bin, schlank bin, schön und makellos. Dann habe ich das Müsli weggeschmissen und grünen Tee getrunken.
Kate Moss hat mal gesagt: Nothing tastes as good as skinny feels. Aber keine Ahnung ob das stimmt…denn dafür müsste ich dünn sein und das bin ich nicht. Ich fühl mich eher wie ein Loch, dass alles aufsaugt, wie eine halb gefüllte Badewanne, eine leere Kaffeekanne. Eine Schnecke ohne Haus, wie ne Katze ohne Maus. Wie ein Brunnen der austrocknet wenn man ihn nicht ständig wässert. Aber ich bin mir sicher, es wird besser.
Ich muss mich nur ein bisschen mehr zusammenreisen, ein bisschen mehr die Zähne zusammenbeißen, weniger Eiscreme und mehr Disziplin beweisen.
Wenn ich morgens auf der Waage stehe, die Zahlen wie eine Slot-Maschine vor mir herunterfallen sehe…dann hoffe ich, dass ich heute endlich mal Glück haben werde. Ja, ich weiß, dass Glücksspiel süchtig machen kann, aber ich habe alles im Griff. Ich halte die Hebel in der Hand und ich bringe sie wieder zum Stillstand – aber erst dann wenn ich dünn bin.
BMI, das steht für Body-Mass-Index, oder auch Körpermassindex. Eine Skala, ein Richtwert, eine Einheit um das Ausmaß meiner Maßlosigkeit zu bemessen – auf die Kilokalorie genau. Eigentlich war ich nie gut in Mathe und eigentlich haben Zahlen mich nie wirklich interessiert. Aber seit ich weiß, wie viele Kalorien in einer Packung Gummibärchen stecken (686), seitdem bin ich von Zahlen fasziniert. Bin fasziniert davon, wie schnell sich Pizza auf Hüften addiert, wie es sich anfühlt, wenn ein Schenkel den anderen nicht mehr tangiert, wenn sich mein Bauchumfang wie von selbst reduziert und sich selbst neu inszeniert. Wie es ist, wenn nicht der Bauch sondern das Hirn regiert.
Seitdem bemesse und berechne ich alles nur noch in Zahlen. Selbstzweifel, Ängste, Sorgen und Qualen. Glück empfinde ich prozentual, Freude im Allgemeinen ist mir mittlerweile viel zu banal. Ich brauche Fakten und Ziffern und keine Gefühle. Nicht umsonst heißt es SelbstWERT.
Heute Morgen habe ich beschlossen die Uni sausen zu lassen und mich stattdessen mit wichtigeren Dingen zu befassen. Ein bisschen mit Schokolade, ein bisschen mit Honig-Senf Marinade, ein bisschen mit selbstgekochter Marmelade, ein bisschen auch mit Brote schmieren, mit Ei porchieren, mit Reiskörner zählen, mit Äpfel schälen, mit Hackfleisch hacken, mit Kuchen backen…verdammt, scheiß auf Reime. Ich will Torten essen und literweise Cola trinken und Beutel voll Bonbons schlucken, einfach so, ohne Kauen – ich will Banane mit Nutella essen, will Burger runterschlingen, mir eine Packung Chips reinhauen, ein ganzes Laib Käse essen, am Stück. Ich will eine Familienpizza für mich alleine, mit Salami und Schinken und Extrakäse. Ich will vor der Bäckertheke stehen und alles kaufen, das mit Zuckerguss bestrichen ist. Ich will zentimeterdicke Scheiben Butter auf meine Brezel legen, will meine Nudeln in Öl und Pesto wälzen, will Speckwürfel snacken, Sahne löffeln, ich will nicht essen ich will fressen. Ich will alles, nicht nur ein Bisschen.
Der letzte Biss hat nicht mehr so gut geschmeckt. Während ich das Eine geschluckt habe, kam das Andere schon wieder hoch. Wie heiße Lava brannte sich die Magensäure durch meine Speiseröhre und tropfte vorbei an meinem Finger in die Kloschüssel. Ich fühle mich schuldig und wertlos und dreckig und plötzlich begreife ich was der Begriff Diät-Sünde meint. Ich wasche mir die vollgekotzten Finger rein aber mein Gewissen bleibt trotzdem schmutzig.
Wenn ich in den Spiegel schaue sehe ich überall Problemzonen. Über nur Bauch-Beine-Po wäre ich mehr als froh. Bei mir aber sind es zu breite Hüften, zu kurze Beine, zu dicke Knie, zu füllige Waden, ein gedrungener Hals, eine krumme Nase, eine hängende Brust, zu große Zähne, zu kleine Daumen und vor allem ein viel zu gieriger Gaumen.
Nur ein bisschen, sage ich mir, nur zwei Mahlzeiten und nicht vier. Nur ein bisschen weniger sitzen, dafür ein bisschen häufiger schwitzen. Ein bisschen weniger, das schaffst auch du, lass einfach ein bisschen öfter deinen Gierschlund zu.
Heute habe ich meine erste eigene Diät erfunden. FDH-FDH. Wenn man von der Hälfte nur noch die Hälfte isst, dann purzeln die Pfunde wie von selbst. Wenn man blaue Teller nimmt, dann sieht das Essen viel größer aus und man hat viel weniger Hunger und wenn man alles in winzig kleine Stücke schneidet dann auch. Wenn man vor dem Essen ein Glas Essig trinkt, dann wird einem so schlecht, dass man kaum etwas herunterbekommt. Ach ja und wenn man nackt vor dem Spiegel isst, schmeckt alles nur noch halb so gut.
Wenn man die eine Hälfte halbiert, dazu noch minus zwei addiert und sich dabei immer mehr selbst minimiert, die Freude den Spaß und das Leben verliert, den ganzen Tag über nur friert und den Hass und die Wut auf sich selbst zelebriert….dann purzeln die Pfunde wie von selbst.
Auf der Waage stehend denke ich mir, nur noch ein bisschen mehr, statt vorne fünf lieber vier. Und diese eine Falte hier, die muss weg, am besten heute noch.
Kann es Zufall sein dass sich Magensäure auch durch Knochen frisst? Dass man Leistungen in Kalorien bemisst? Dass das Wort Bisschen sowohl Adverb als auch Nomen ist?
Heute habe ich eine Schüssel Suppe in der Mikrowelle aufgewärmt. Acht Mal. Jedes Mal wenn ich es geschafft habe einen Schluck zu nehmen, war die Suppe schon wieder kalt. Eigentlich wollte ich heute auch ins Kino gehen. Ich war aber so müde und meine Beine waren so schwer, dass ich einfach liegen geblieben bin. Eigentlich wollte ich mir dann eine DVD anschauen, wenn ich schon nicht ins Kino gehe, aber die Fernbedienung lag so weit außen und meine Hände waren so schwer, dass ich einfach aus dem Fenster geschaut habe. Während ich aus dem Fenster geschaut habe, überlegte ich kurz, ganz kurz, ob ich aufstehen soll. Aber das wäre die Mühe wohl nicht wert gewesen.
Wenn weniger mehr ist, dann brauch ich noch ein bisschen mehr. Ein bisschen weniger wiegt ja auch nicht schwerer. Ein bisschen mehr leer und weniger schwer – das ist es was ich brauche: nicht weniger und nicht mehr.
Kate Moss hat mal gesagt: Nothing tastes as good as skinny feels. Aber keine Ahnung ob das stimmt, denn dafür müsste ich noch etwas fühlen und das tue ich nicht.